Artikel-Informationen
Ansprechpartner/in:
Frau Dr. Rike Werner
Oberlandesgericht Braunschweig
Pressesprecherin
Bohlweg 38
38100 Braunschweig
Tel: 0531 4882460 oder 0172 4115087
Fax: +49(0)5141 5937-34921
OBERLANDESGERICHT BRAUNSCHWEIG – 19. Dezember 2025
Der Strafsenat des Oberlandesgerichts Braunschweig hat heute die Revision der Staatsanwaltschaft gegen ein am 17. März 2025 verkündetes Urteil des Landgerichts Braunschweig verworfen, mit dem dieses eine Bloggerin von dem Vorwurf der Volksverhetzung freigesprochen hatte.
Nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen postete die Angeklagte über ihren Account auf der Internet-Plattform Twitter einen Beitrag unter anderem mit folgendem Inhalt: „Ein großer Teil der Sinti und Roma in Deutschland und anderen Ländern schließt sich selbst aus der zivilisierten Gesellschaft aus, indem sie den Sozialstaat und damit den Steuerzahler betrügen, der Schulpflicht für ihre Kinder nicht nachkommen, nur unter sich bleiben, klauen, Müll einfach auf die Straße werfen und als Mietnomaden von Wohnung zu Wohnung ziehen.“ Die Angeklagte habe – so das Landgericht – jedenfalls billigend in Kauf genommen, dass Sinti und Roma sich dadurch verletzt fühlten.
Das Amtsgericht Goslar hatte die Angeklagte wegen Volksverhetzung zu einer Geldstrafe verurteilt. Auf die Berufung der Angeklagten hat das Landgericht Braunschweig das erstinstanzliche Urteil aufgehoben und die Angeklagte freigesprochen. Der Tatbestand der Volksverhetzung nach § 130 StGB sei nicht erfüllt. Das Erfordernis eines Angriffs auf die Menschenwürde lasse sich nicht feststellen.
Die Staatsanwaltschaft legte Revision gegen diesen Freispruch ein.
Diese blieb ohne Erfolg. Der Strafsenat hat nach mündlicher Verhandlung die Entscheidung des Landgerichts bestätigt und die Revision – auch auf Antrag der Generalstaatsanwaltschaft – verworfen (1 ORs 43/25). Der Tatbestand des § 130 Abs. 2 Nr. 1 c) des Strafgesetzbuches (StGB) knüpfe an Art. 1 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) an und schütze den unverzichtbaren Kernbereich der menschlichen Persönlichkeit und damit der Menschenwürde. Bei dem Straftatbestand des § 130 StGB gehe es gerade nicht um den Schutz vor Beleidigungen im Sinne eines erweiterten Ehrschutzes. Er verlange – auch zum Schutz der Meinungsfreiheit nach Art. 5 GG – vielmehr einen Angriff auf die Menschenwürde und damit eine besonders gravierende Verletzung des Persönlichkeitsrechts. Der Täter müsse der Person des Angegriffenen durch seine Tathandlung ihr Lebensrecht als gleichwertige Persönlichkeit in der staatlichen Gemeinschaft absprechen.
Der Senat führte in der mündlichen Urteilsbegründung aus, dass sich nach der von dem Landgericht vorgenommenen – nicht zu beanstandenden – Gesamtwürdigung des Beitrags nicht feststellen lasse, dass die Angeklagte einem großen Teil der Sinti und Roma ein gleichwertiges Lebensrecht abspreche. Sie habe sie mit ihrem Beitrag an den Rand der Gesellschaft gestellt und damit gerade nicht „entmenschlicht“.
Die Beurteilung, ob die beanstandete Äußerung die Menschenwürde anderer angreift, obliege dem Tatrichter, in diesem Fall dem Landgericht. Dieser habe nach ständiger Rechtsprechung den tatsächlichen Sinngehalt der beanstandeten Äußerung zu ermitteln. Komme der Tatrichter zu einem vertretbaren Ergebnis, so hat das Revisionsgericht dessen Auslegung hinzunehmen, sofern sie sich nicht als rechtsfehlerhaft erweist, mag auch ein anderes Ergebnis durchaus vertretbar sein oder aus Sicht der Rechtsmittelinstanz sogar näherliegen. Die Angeklagte habe mit ihrem – ohne Zweifel diskriminierenden und ehrverletzenden – Beitrag nicht den Kernbereich der Persönlichkeit verletzt.
Eine Strafbarkeit wegen eines Beleidigungstatbestandes scheitere bereits am Fehlen eines zwingend erforderlichen Strafantrags.
Die schriftlichen Urteilsgründe liegen noch nicht vor. Die Entscheidung ist unanfechtbar.
Angewendete Vorschrift
§ 130 des Strafgesetzbuches – Volksverhetzung
(1) […]
(2) Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer
1. einen Inhalt (§ 11 Absatz 3) verbreitet oder der Öffentlichkeit zugänglich macht oder einer Person unter achtzehn Jahren einen Inhalt (§ 11 Absatz 3) anbietet, überlässt oder zugänglich macht, der
a) zum Hass gegen eine in Absatz 1 Nummer 1 bezeichnete Gruppe, gegen Teile der Bevölkerung oder gegen einen Einzelnen wegen dessen Zugehörigkeit zu einer in Absatz 1 Nummer 1 bezeichneten Gruppe oder zu einem Teil der Bevölkerung aufstachelt,
b) zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen gegen in Buchstabe a genannte Personen oder Personenmehrheiten auffordert oder
c) die Menschenwürde von in Buchstabe a genannten Personen oder Personenmehrheiten dadurch angreift, dass diese beschimpft, böswillig verächtlich gemacht oder verleumdet werden oder […]
Artikel-Informationen
Ansprechpartner/in:
Frau Dr. Rike Werner
Oberlandesgericht Braunschweig
Pressesprecherin
Bohlweg 38
38100 Braunschweig
Tel: 0531 4882460 oder 0172 4115087
Fax: +49(0)5141 5937-34921