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Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz (KapMuG)

Informationen zum Verfahren nach dem Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz (KapMuG)

Grundsätzlich ist der deutsche Zivilprozess davon geprägt, dass sich zwei Parteien gegenüber stehen. Hiervon macht das KapMuG eine Ausnahme. Es ermöglicht eine „Bündelung“ von Parallelverfahren und deren einheitliche Entscheidung im Musterverfahren. Das KapMuG datiert von 2005 und wurde sodann teilweise überarbeitet. Die Neufassung (KapMuG 2012) trat am 1.11.2012 in Kraft.

Für welche Verfahren gilt das KapMuG?

Das KapMuG ist in Schadensersatzprozessen wegen falscher, irreführender oder unterlassener öffentlicher Kapitalmarktinformationen anwendbar. Auch wenn solche Informationen verwendet werden oder eine gebotenen Aufklärung hierüber unterlassen wird, kann ein Verfahren nach dem KapMuG eingeleitet werden. Schließlich kann dieses Gesetz bei Erfüllungsansprüchen aus einem Vertrag, der auf einem Angebot nach dem Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz beruht, zur Anwendung kommen (§ 1 Abs. 1 KapMuG).

Wie läuft das Verfahren ab?

Das Verfahren wird auf Antrag des Klägers oder Beklagten eingeleitet. Der Antragsteller muss darlegen, dass der Entscheidung im Musterverfahren Bedeutung über den einzelnen Rechtsstreit hinaus für andere gleichgelagerte Rechtsstreitigkeiten zukommen kann. Die Musterverfahrensanträge macht das Prozessgericht im Klageregister des elektronischen Bundesanzeigers bekannt (www.bundesanzeiger.de). Mit der Bekanntmachung des Musterverfahrensantrags im Klageregister wird das Verfahren unterbrochen.

Liegen mindestens zehn gleichgerichtete Anträge innerhalb von sechs Monaten vor, erlässt das erstbefasste Ausgangsgericht einen Vorlagebeschluss (§ 6 KapMuG). Dieser fasst die gemeinsamen Fragen, die alle Verfahren betreffen (sog. Feststellungsziele), zusammen und enthält eine knappe Darstellung des zugrunde liegenden gleichen Lebenssachverhalts. Der Beschluss wird dem Oberlandesgericht vorgelegt. Alle anhängigen Klageverfahren, deren Entscheidung von den geltend gemachten Feststellungszielen abhängt, werden sodann vom Ausgangsgericht ausgesetzt (§§ 7, 8 KapMuG).

Das Oberlandesgericht wählt aus den ausgesetzten Klageverfahren nach billigem Ermessen einen Musterkläger aus (§ 9 Abs. 2 KapMuG), den es - ebenso wie den Musterbeklagten und das Aktenzeichen des Verfahrens - im Klageregister des elektronischen Bundesanzeigers öffentlich bekannt macht. Bei der Auswahl sind die Eignung des Klägers, das Musterverfahren unter Berücksichtigung der Interessen der Beigeladenen angemessen zu führen, eine Einigung mehrerer Kläger auf einen Musterkläger und die Höhe des Anspruchs, soweit er von den Feststellungszielen des Musterverfahrens betroffen ist, zu berücksichtigen (§ 9 Abs. 2 KapMuG).

Erst ab der Bekanntmachung des Musterklägers im Klageregister des elektronischen Bundesanzeigers (www.bundesanzeiger.de) können Personen, die wegen desselben Anspruchs noch keine Klage erhoben haben, ihren Anspruch schriftlich gegenüber dem Oberlandesgericht anmelden (§ 10 Abs. 2 KapMuG). Der Anmelder muss sich durch einen Rechtsanwalt vertreten lassen. Die Anmeldung muss innerhalb einer Frist von sechs Monaten ab Bekanntmachung erfolgen. Durch die Anmeldung kann die Verjährung der Ansprüche des Anmelders bis zum Abschluss des Musterverfahrens gehemmt werden, ohne dass dieser Klage erheben muss (§ 204 Abs. 1 Nr. 6 a BGB). Da die Bekanntmachung bezüglich der Volkswagen AG am 08.03.2017 und die Bekanntmachung bezüglich der Porsche Automobil Holding SE am 15.06.2018 erfolgt ist, sind die Fristen zur Anmeldung von Ansprüchen gegen die beiden Musterbeklagten mittlerweile abgelaufen.

Da der Beschluss über die Aussetzung eines Klageverfahrens als Beiladung im Musterverfahren gilt, werden alle Kläger zwingend Beteiligte des Musterverfahrens. Sie sind berechtigt, Angriffs- und Verteidigungsmittel geltend zu machen sowie alle Prozesshandlungen wirksam vorzunehmen, sofern diese nicht im Widerspruch mit dem Prozessverhalten des Musterklägers stehen.

Das Oberlandesgericht entscheidet über die vorgelegten Tatsachen- und Rechtsfragen durch Musterentscheid in einem Zwischenverfahren, das ähnlich abläuft wie ein normales streitiges Zivilverfahren. Gegen den Musterentscheid kann Rechtsbeschwerde zum Bundesgerichtshof eingelegt werden. Nach Rechtskraft des Musterentscheids geht das Verfahren bei den Ausgangsgerichten weiter. Die Feststellungen des rechtskräftigen Musterentscheids binden die Prozessgerichte in allen ausgesetzten Verfahren. Die Bindung umfasst die tatsächlichen und rechtlichen Grundlagen und wirkt grundsätzlich für und gegen alle Beteiligte des Musterverfahrens. Gegenüber den Anmeldern entfaltet die Entscheidung im Musterverfahren hingegen keine rechtliche Bindungswirkung.

Können sich die Parteien im Musterverfahren auch vergleichen?

Bereits im Musterverfahren können der Musterkläger und der Musterbeklagte einen Vergleich für alle Verfahrensbeteiligten schließen. Dazu ist eine Zustimmung aller am Musterverfahren beteiligten Personen nicht erforderlich. Der Vergleich gilt für alle Beteiligten, die nicht innerhalb eines Monats ab Zustellung ihren Austritt aus dem Vergleich erklären. Treten weniger als 30 % der Beteiligten aus dem Vergleich aus und genehmigt das Gericht den Vergleich, so wird er wirksam.

Wegen der Anmeldung von Ansprüchen gegen die Porsche Automobil Holding SE wird auf das anliegende Hinweisblatt verwiesen.

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