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Frau Dr. Rike Werner
Oberlandesgericht Braunschweig
Pressesprecherin
Bohlweg 38
38100 Braunschweig
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OBERLANDESGERICHT BRAUNSCHWEIG – 12. Mai 2023
Bei einer Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe müssen Strafrichterinnen oder Strafrichter nicht nur über die Dauer entscheiden, sondern auch darüber, ob die Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt werden kann. Wird die Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt, muss die verurteilte Person nicht in Haft. Sie hat sich aber über einen vom Gericht festgelegten Zeitraum zu bewähren und zumeist auch Auflagen und Weisungen zu erfüllen. Gelingt ihr das nicht, weil sie beispielsweise erneut straffällig wird oder gegen Auflagen verstößt, kann die zuvor verhängte Strafe vollstreckt werden.
Mit der Möglichkeit, die Strafe zur Bewährung auszusetzen, soll die Resozialisierung der verurteilten Person in Freiheit gefördert werden. Die Strafaussetzung zur Bewährung ist nach den gesetzlichen Vorgaben nur bei Freiheitsstrafen bis zu zwei Jahren möglich und setzt vor allem die Erwartung voraus, dass die verurteilte Person zukünftig auch ohne die Vollstreckung der verhängten Strafe keine Straftaten mehr begehen wird. Das Gericht muss hierzu eine Prognose erstellen. Für diese Prognoseentscheidung hat das Gericht unter anderem die Persönlichkeit der angeklagten Person, ihr Vorleben sowie ihr Verhalten nach der Tat eingehend zu betrachten und zu bewerten. Dem Gericht kommt dabei ein weitreichender Beurteilungsspielraum zu. Die Prognoseentscheidung kann seitens des Revisionsgerichts nur dahingehend überprüft werden, ob Abwägungsgesichtspunkte übersehen oder falsch bewertet wurden.
Mit seinem Revisionsurteil vom 22. März 2023 (1 Ss 40/22) hat der 1. Strafsenat die Begründung und Bewertung einer Entscheidung des Landgerichts Braunschweig über die Aussetzung der Vollstreckung der verhängten Freiheitsstrafe zur Bewährung beanstandet.
Das Landgericht Braunschweig hatte in einem Berufungsverfahren den Angeklagten unter anderem wegen Körperverletzung, tätlichen Angriffs und Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und elf Monaten verurteilt. Die Entscheidung, die Freiheitsstrafe zur Bewährung auszusetzen, hat die Kammer im Wesentlichen damit begründet, dass der Angeklagte bisher nur zu Geldstrafen verurteilt worden sei und sich in der ersten Instanz bei dem Geschädigten entschuldigt habe. Auch unter Berücksichtigung der persönlichen Lebensumstände des Angeklagten könne die Strafe unter Zurückstellung erheblicher Bedenken noch zur Bewährung ausgesetzt werden. Die gegen ihn erlassenen Bewährungsauflagen seien geeignet, ihn von weiteren Straftaten abzuhalten. Die Kammer hat ferner berücksichtigt, dass bei einer Aussetzung der Vollstreckung einer Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr nach der Gesamtwürdigung von Tat und Persönlichkeit besondere Milderungsgründe vorliegen müssen. Diese seien in dem Teilgeständnis und der Entschuldigung des Angeklagten zu sehen.
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft, die auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt war, hat der 1. Strafsenat die Entscheidung des Landgerichts über die Aussetzung der Vollstreckung aufgehoben. Die Strafkammer habe ihrer Prognoseentscheidung einen unzutreffenden Maßstab zugrunde gelegt, urteilte der Senat. Für die Annahme einer günstigen Prognose genüge es nicht, dass die Kammer diese nicht ausschließen könne, denn Zweifel gehen in diesem Fall zu Lasten der angeklagten Person. Wenn das Gericht, wie im hiesigen Fall formuliere, „erhebliche Bedenken im Hinblick auf eine zukünftige Straffreiheit“ zu haben, dürfe es die Strafe aus Rechtsgründen nicht zur Bewährung aussetzen.
Auch sei näher zu begründen, weshalb die von dem Angeklagten erstinstanzlich geäußerte Entschuldigung ohne Weiteres für die Annahme besonderer Umstände, die bei einer Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr für die Aussetzung der Vollstreckung erforderlich sind, herangezogen werden könne, da dieser sein Geständnis in der Hauptverhandlung in erheblicher Weise wieder eingeschränkt habe. Der Senat hat weiter darauf verwiesen, dass es bei bestimmten Deliktsgruppen einer eingehenden Auseinandersetzung bedarf, ob die Verteidigung der Rechtsordnung eine Vollstreckung der Strafe gebiete. Dies sei insbesondere bei Straftaten gegen Polizeibeamten der Fall, die im besonderen Maße mit dem Schutz der Rechtsordnung betraut seien.
Das Landgericht Braunschweig wird nun erneut über die Frage der Aussetzung der Freiheitsstrafe zur Bewährung zu entscheiden haben. Die Revision des Angeklagten sowie die weitergehende Revision der Staatsanwaltschaft hat der Senat als unbegründet verworfen.
Angewendete Normen:
§ 56 StGB – Strafaussetzung
(1) Bei der Verurteilung zu Freiheitsstrafe von nicht mehr als einem Jahr setzt das Gericht die Vollstreckung der Strafe zur Bewährung aus, wenn zu erwarten ist, dass der Verurteilte sich schon die Verurteilung zur Warnung dienen lassen und künftig auch ohne die Einwirkung des Strafvollzugs keine Straftaten mehr begehen wird. Dabei sind namentlich die Persönlichkeit des Verurteilten, sein Vorleben, die Umstände seiner Tat, sein Verhalten nach der Tat, seine Lebensverhältnisse und die Wirkungen zu berücksichtigen, die von der Aussetzung für ihn zu erwarten sind.
(2) Das Gericht kann unter den Voraussetzungen des Absatzes 1 auch die Vollstreckung einer höheren Freiheitsstrafe, die zwei Jahre nicht übersteigt, zur Bewährung aussetzen, wenn nach der Gesamtwürdigung von Tat und Persönlichkeit des Verurteilten besondere Umstände vorliegen. Bei der Entscheidung ist namentlich auch das Bemühen des Verurteilten, den durch die Tat verursachten Schaden wiedergutzumachen, zu berücksichtigen.
(3) Bei der Verurteilung zu Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten wird die Vollstreckung nicht ausgesetzt, wenn die Verteidigung der Rechtsordnung sie gebietet.
(4) Die Strafaussetzung kann nicht auf einen Teil der Strafe beschränkt werden. Sie wird durch eine Anrechnung von Untersuchungshaft oder einer anderen Freiheitsentziehung nicht ausgeschlossen.
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